Irgendeiner der Schriftsteller, dessen Bücher ich in der letzten Zeit gelesen hatte, meinte das mit dem Schreiben über einen Ort, an dem man sich gerade aufhalte, sei schwierig bis unmöglich. Der Name des Schriftstellers fällt mir nur deshalb nicht ein, weil mein Gehirn etwas mitgenommen ist von den vielen Caipirinhas und Catuabas der letzten Tage und Nächte in Sao Paulo. Man denkt es sich schon: ich habe eine gute Zeit. Und ist es nicht viel wichtiger sich lebendig zu fühlen, Dinge zu erleben, als einen Blog zu pflegen? Ja, sagen wir alle einstimmig, aber weil Mutti trotzdem wissen möchte, dass ich noch am Leben bin, werde ich zumindest versuchen jeden Tag ein Foto reinzustellen. Oder so. Aber von Anfang an: als ich Montevideo verlasse bin ich ein wenig nervös, weil ich ja noch nicht weiß, ob alles nach Plan verlaufen wird, den Überlebensplan meine ich, nicht den Plan so viel wie möglich zu erleben. Als ich dann im Bus nach Porto Alegre sitze und mich darin arbeitend wiederfinde, denke ich: kein Problem. Es ist eine schöne Busfahrt, die begleitet wird von uruguayischen Sandwiches, die uns an unseren Platz gebracht werden. Ich schlafe viel und wache rechtzeitig für Handyaufnahmen vom Sonnenaufgang in brasilianischer, altbekannter Landschaft auf. Dann ein Tag im vertrauten Porto Alegre, vor allem in Cafés und eine viel zu lange, dafür aber sehr lustige Nacht mit meiner Couchsurfing-Gastgeberin, in der Caipirinhas und unzählige cervejas artesanales getrunken wurden.

Sao Paulo Wohnzimmeraussicht
Sao Paulo, das ist die Liebe meines Lebens? Nein, das nun doch nicht. Aber die Freude war so groß, zurück in der Großstadt zu sein. Und noch größer war die Freude, dass ich das Gefühl hatte, die Menschen mochten mich endlich wieder und würden gerne mit mir ausgehen und kämen auch damit klar, falls ich beschließen sollte hier zu leben. Und wie ich mich über die U-Bahn gefreut habe, weil ich endlich zumindest für die Metro-Haltestellen wusste, wie ich dorthin kommen würde, ohne jede fremde Hilfe! Ohne allgemeine Ratlosigkeit darüber, welchen Bus man denn nun nehmen könne… Gleich bei meiner ersten, gepäcklosen U-Bahnfahrt alleine, setzte sich ein junger Mann auf meinen Schoß. Ich fühlte mich ein bisschen unwohl und fragte aber erst, ob das normal so sei, in der Metro von SP, bevor ich fragte, ob er nicht vorhabe wieder hinunterzusteigen. Ein bisschen hatte ich gedacht, wer weiß, Performance Kunst und so, und das Paar auf dessen Schoß er davor gesessen hatte, war so normal damit umgegangen, dass es, das fällt mir erst jetzt auf, ob Performance, oder ein Verrückter, in jedem Fall irritierend war, und unbedingt den Verdacht nahe legte, dass es sich um den ganz gewöhnlichen SP-Alltag handele. Aber nein, es stellte sich heraus, der junge Mann sei eine „Pessoa especial“, die übrigens Englisch konnte und mich nach dem er mich auf die Wange geküsst hatte, fragte, ob es solche wie ihn auch in Deutschland gäbe. Ein andermal betrat ich die U-Bahn mit einer älteren japanischen Brasilianerin an meiner Seite, die ich nach der besten Ausstiegsstation gefragt hatte, um zum Irapueira Park zu gelangen und die versuchte mir zu helfen, in dem sie weitere Personen involvierte. Und dann sprachen wir mit zwei jungen Frauen, und mir fiel plötzlich die Coxinha Bar ein, die auf etwa dem selben Weg lang und das Gespräch wurde ein wenig umständlicher und die Mädchen waren so nett und eine bot mir ihre Telefonnummer an, damit ich anrufen könnte, falls ich mich verlaufen würde. (Soviel zur brasilianischen Freundlichkeit).

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Straßen Sao Paulos

Liberdade SPAber von Anfang an: ich bin weniger nervös, als ziemlich verschwitzt, als ich die Wohnung von Rafaels Mutter, Sueli, erreiche, zu deren Lage ich mir auch wieder nicht weiterhelfende Notizen gemacht hatte. Und, wie ich es mir schon fast gedacht habe, ist sie unglaublich nett und die Unterhaltung auf Spanisch und ein ganz klein bisschen Portugiesisch läuft gar nicht so schlecht. Von ihrer Wohnung (wie auch von Rafaels Wohnung, die fast direkt um die Ecke liegt) hat man einen guten Blick auf das Copain Gebäude, was wegen eines Beihefts der NZZ, die einzige Sache in Sao Paulo war, über die ich wirklich etwas wusste. (Von Niemeyer entworfen, so groß wie eine kleine Stadt, unterschiedlich große Räume, für unterschiedliche Einkommensklassen, reich und arm im selben Gebäude untergebracht = bessere Gesellschaft. Ein andermal wird mir Sueli erzählen, dass in Sao Paulo schon immer reich und arm in den Vierteln zusammengewohnt haben und es bei den Kinderspielen keine Rolle spielte aus was für einem Haushalt man kam.) Dann holte mich mein sehr hübsch aussehender Freund Rafael ab und wir trafen uns mit seinen Freunden in der Merceria, wo wir mit unzähligen anderen jungen Menschen auf dem Bürgersteig standen und Bier tranken. Am nächsten Morgen nach ein wenig Zeit so tun, als würde ich gleich anfangen zu arbeiten, ging ich zu Rafael, der Mittagessen kochte, aber nicht wollte, dass ich ihn in meinen Blog aufnehme Wie so oft, und vielleicht der Grund, warum ich ihn immer als Freund behalten möchte, legte er wunderschöne Musik auf, diesmal Samba Paulista von Adoniran Barbosa (https://www.youtube.com/watch?v=xG69G8MLHF4). Wer mich verführen möchte, sollte nur die allerschönste Musik auflegen und schon bin ich verliebt. Diesmal allerdings mehr in Sao Paulo und ich freute mich durchaus, dass Carol, die Freundin von Rafael zum Essen dazustoßen würde, weil gar so nett und heiter. Und sie und ich verließen dann Rafaels Wohnung um auf eine Geburtstagsfeier in der Nähe der Rua Augusta zu gehen (wie ich mich freute, dass die drei Straßen, die Tom Zé in Augusta, Angélica e Consolação besingt: https://www.youtube.com/watch?v=2J23pwlDv7A , direkt um die Ecke lagen), wo mir (nur mir) direkt zur Begrüßung ein Fogo SP in die Hand gedrückt wurde, ein Schnäpsli, und später lernte ich all die Getränke, die Jugendliche ohne Geld in SP trinken kennen und noch später gingen wir in die Nachbarwohnung, in der Carols Bruder wohnt und wohin sich ein Großteil der Geburtstagspartyleute verzogen hatte, und hatten große Freude daran, wie mehrere Männer einen Luftballon zum Platzen brachten, in dem sie einfach nicht aufhörten hinein zu blasen. Sehr albern, aber wirklich spannend, zumindest in dem Moment. Und so weiter und so fort… In dieser Nacht überredete ich Carol mit mir in eine Bar zu gehen, die immer gut besucht sein sollte, mit Live Sambamusik und wir waren mit vier anderen die einzigen Gäste, gegenüber einer elfköpfigen Band. Die Kälte, die Kälte, war was allen dazu einfiel. Es folgten viele trunkene Nächte, mit unzähligen Saideras („letzten Drinks“) und sehr viel Samba, eine leckere Feijoada von Sueli, toller Jazz, Copain-Besteigung, Museenbesuche, Liberdade-Spaziergänge, eine Motorrollerfahrt durch die Rua Augusta und die Avenida Paulista bis nach Vila Madalena zu einer Tanznacht mit neugefundener Freundin. Weil ich von den verrückten SP Parties gehört hatten, auf denen Leute sich auszögen, und dieser Ort (Nossacasa) zu jenen gehören sollte, an denen es passieren könnte, wartete ich die ganze Nacht. Leider war nix. Am Abend davor, war ich mit Rafael alleine bei einer Party um die Ecke von Nossacasa, wo die längere Wartezeit in der Schlange mit Cachacas vom Haus verkürzt wurde und ich Rafael, der eigentlich nicht tanzt, nie länger als zehn Minuten überzeugen konnte, mit mir zu tanzen. Irgendwann gegen sechs Uhr, er musste bald zur Arbeit gehen, obwohl Feiertag war, ging Rafa und kurze Zeit später entschloss ich mich ebenfalls zu gehen, war mir aber über die Richtung unklar. Als ich zwei junge Männer nach der nächsten U-Bahnstation fragte, sagte der eine der beiden „aber Miriam, wir können dich auch nach Hause fahren“. Oder so ähnlich, es war auf Portugiesisch. Aber weil er meinen Namen kannte hatte ich sofort sehr großes Vertrauen in ihn und ließ mich nach Hause fahren. Alles was in SP passierte schien wie eine Abfolge wundersamer Zufälle, die mein Glück hier zu sein nur vergrößerten. Ich war glücklich wie nie und dachte ich würde jedenfalls zurückkommen und vielleicht, ja vielleicht für immer bleiben.

Copain de Niemeyer, São Paulo

Centro SP

Mercado Municipal de São Paulo

Liberdade, São Paulo

Liberdade, SP
Sueli bestand darauf mich zum Busbahnhof zu fahren und machte eine kleine Rundfahrt für mich, um mir all die Gebäude nochmal zu erklären, die ich zum Teil passiert hatte, ohne um ihre historische Bedeutung zu wissen. Ich habe noch nicht erwähnt, dass sie mir angeboten hatte mich zu adoptieren und auch nicht, dass sie sagte, in einem traurigen Gespräch über die Zukunft des Landes, an die gerade niemand glauben mag, weil es mit der Politik immer mehr den Bach hinunter geht, dass sie ja alt sei, aber Rafael sei ja sozusagen die Zukunft, und auch ich, wenn ich mich entscheiden sollte zu bleiben. Wie gerührt ich war und wie ich sofort bereit war für immer zu bleiben. An den Busbahnhof aber brachte sie mich, weil mein nächstes Reiseziel Belo Horizonte war.

Wenn ihr je nach São Paulo kommt und eine Unterkunft sucht: Sueli vermietet das Zimmer mit Aussicht auf Copain auch unter… Beste Gesellschaft, bester Ort, sagt Bescheid!